Neustädter Verein bringt Menschen am Rand der Gesellschaft zurück ins Leben
„Abgehängt“ oder „abgeschrieben“ werden Menschen wie Jaqueline oft bezeichnet: Nach einer Kindheit im Heim drohte ihrer kleinen Tochter das selbe Schicksal. Fast hätte die 26-Jährige einmal ins Gefängnis gemusst. Und „das Amt“ habe sie immer nur weitergereicht, erklärt sie.
Nach Alkoholproblemen und zahllosen "Beschäftigungstherapien vom Arbeitsamt" hat Tobias beim Neustädter Verein für soziale Lebenshilfe eine Zuverdienstmöglichkeit gefunden, die ihn erfüllt. Foto: Peter Cott
Neustadt. An ein normales Leben und Arbeit war gar nicht erst zu denken. Sobald sie ihre Tochter im Kindergarten abgeliefert hatte, ging sie zurück ins Bett. "Mein Leben ist eine große Baustelle", sagt Jaqueline.
Ein Satz, der berührt. Der ratlos zurücklässt.
Dass Jaqueline dabei noch lächeln kann, hat sie nicht zuletzt dem Neustädter Verein für soziale Lebenshilfe zu verdanken. "Wir wollen solche Teufelskreise aufbrechen und Menschen am Rande der Gesellschaft ein normales Leben ermöglichen", sagt Danny Fuhrmann, der dem Verein vorsteht. Seit 2007 kümmern sich 13 feste Mitarbeiter und 20 Vereinsmitglieder um psychisch Erkrankte, geistig Behinderte sowie von seelischer Behinderung bedrohte Menschen. Viele hätten teils unfassbar Schreckliches erlebt, sagt Fuhrmann. Immer mehr Klienten waren oder sind Crystal-Abhängige oder Alkoholiker.
2013 begann der Verein schließlich solchen Menschen professionelle ambulante Hilfe zu leisten und ihnen Wohnraum zu organisieren – zum Teil gegen alle Widrigkeiten. "Nicht nur dass es schwierig ist, Hartz-4-taugliche Wohnungen zu finden", sagt Fuhrmann, "auch Vermieter müssen erst überzeugt werden." Denn jeder der etwa 60 Klienten habe da seinen "imaginären Rucksack mit vielen Problemen" dabei. Zudem sei der Verein oft Leumundgeber für die künftigen Mieter. "Viele Vermieter scheuen zunächst das Mietausfallrisiko."
Jüngster Versuch des Vereins, den vermeintlich "hoffnungslosen Fälle" wieder ein wenig Hoffnung zu geben, ist daher ein Zuverdienstprojekt. "Unsere Idee ist, dass unsere Klienten die Bedingungen und Strukturen des Arbeitsmarktes kennenlernen und wieder etwas zu tun haben", erklärt Fuhrmann. Arbeit ist für ihn entscheidend, um zurück in die Spur zu finden. Teilweise hätten seine Schützlinge nie gearbeitet. "Wir haben einen jungen Mann, der vom Arbeitsamt zu unzähligen Bewerbungstrainings geschickt wurde, bis irgendwann festgestellt wurde, dass er Analphabet ist", entrüstet sich Fuhrmann. Bei anderen sei ihm gesagt worden, dass es schade um Zeit, Geld und Mühe sei. "Wir legen aber nur wenig Wert auf solche Gutachten. Wir versuchen die Leute kennenzulernen, um an den Ursachen zu arbeiten", sagt er.
Mit Hilfe des Sozialamtes war es dem Verein schließlich im Sommer möglich, das Projekt zu realisieren. Eine ehemals leere Halle in Kospoda ist mittlerweile zum kleinen Sägewerk umgestaltet, in der die Schützlinge des Vereins Bretter und Kanthölzer für Palettenreparaturbetriebe zurichten. "In unserer hoch technisierten Gesellschaft war es schwer eine passende Arbeit zu finden, die beispielsweise nicht in Konkurrenz mit den Pößnecker Werkstätten tritt. Aber es ist uns gelungen", sagt Fuhrmann, während es um ihn wuselt. Hier wird gesägt, dort gekehrt oder gehobelt. In drei Stunden-Schichten arbeiten zwölf Klienten des Vereins.
Ein zufriedenes und zugleich stolzes Lächeln durchzieht Fuhrmanns Gesicht beim Blick in die Halle. Als er die Frühschicht zurück in die Stadt fährt, lächelt Jaqueline auf die gleiche Weise. "Es ist die erste Arbeit, die mir Spaß macht. Wir sind schon ein richtig gutes Team", erzählt sie. "Mein Tag hat wieder eine Struktur, einen Sinn", sagt die junge Mutter dann.
Peter Cott OTZ
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